Nach dem Urteil
Endlich gibt es auch einen Film über die Probleme Alleinerziehender, in der heutigen Situation
Die Tage und Wochen gingen ins Land. Es gab nun auch Beschwerden vom Vermieter. Immer wenn ich bei der Arbeit war, waren die Kinder laut. „Sie schreien und toben in der Wohnung, meine Frau und ich haben keine Ruhe mehr“, sagte er.
Ich entschuldigte mich bei ihm und versuchte den Kindern
beizubringen, dass sie nach draußen gehen sollten. Im Sommer ging das ganz gut.
Doch im Winter … Manuela wich zu ihrer Freundin aus. Dirk, der in der
Zwischenzeit in die Schule gekommen war, blieb oft alleine zu Hause oder traf
sich auch mit Freunden. In den Ferien waren die beiden öfters bei meiner
Mutter. Sie gingen auch zu Thomas’ Eltern, die es nicht gerne gesehen hatten,
dass wir nun geschieden waren.
Meine Schwiegermutter verlor kein Wort mehr über den
„Zustand“ des Haushalts, wenn sie zusammen mit Schwiegervater die Kinder
abholte. Sie strich auch nicht mehr mit den Fingern über den Wohnzimmerschrank,
um zu sehen, ob er verstaubt war. Ich hatte ihr nichts mehr zu sagen, und sie
wusste auch nicht, worüber sie mit mir reden sollte.
Ich sagte: „Gute Fahrt, und bitte ruft mich an, wenn ihr
angekommen seid.“ „Klar, machen wir“, war die Antwort, und ich verabschiedete
mich von den Kindern.
Danach ging jeder seiner Wege. Thomas kam ab und zu, um
das Unterhaltsgeld für die Kinder persönlich vorbeizubringen. Das aber nur,
weil die Bank es nicht überweisen wollte. Die Kinder waren kurz nach der
Trennung öfters für ein oder zwei Tage bei ihrem Vater gewesen. Auch das
erübrigte sich mit der Zeit. Thomas hatte sich von seiner Freundin getrennt,
und ich vermutete, es war ihm zu anstrengend, alleine zu sein mit den
Sprösslingen.
Ich machte die Erfahrung, dass Alleinerziehenden der Makel
anhängt, sie seien als Familien nicht komplett. In den Köpfen vieler Leute, in
unserem Falle besonders bei den Nachbarn und bei meinem Arbeitgeber, kam es gar
nicht vor, dass eine Frau zu ihrem Mann sagen konnte: „Das geht so nicht, wir
müssen getrennte Wege gehen.“ Das dumpfe Spießertum blieb in meinem Alltag
verankert.
Mein Leben war hin und wieder wie ein Theaterstück. Vom
Lustspiel bis zur Komödie war alles vertreten. Oft ging ich auf die Bank, nur
um zu erfahren, dass mein Exgatte wieder keinen Unterhalt für die Kinder
überwiesen hatte. Dann schrieb ich einen Brief, damit ich mich am Telefon nicht
im Ton vergriff, wenn ich auf den Anrufbeantworter sprach. Leider war das auch
schon passiert.
Seit seine Freundin weg war, bekamen wir nur noch
unregelmäßig das Geld. Der große Geschäftsmann war angeblich pleite. Aber die
Kinder und ich brauchten das „Haushaltungsgeld“,
wie Thomas es nannte. Die Arbeit mit den Kindern und dem Haushalt hatte
schließlich ich. Schon immer gehabt.
Ein Partner, der mitarbeitete, war
Thomas nie gewesen.
Thomas sagte, er mache das nicht mit Absicht. Er habe eben
sooo wenig Bargeld. Wir einigten uns darauf, dass er das Geld selbst
vorbeibrachte, wenn die Bank es nicht überwies.
Eines Tages war es wiederum so weit. Thomas kam, um das
Geld abzuliefern. Ich hatte gerade die Wohnung geputzt. Vielleicht wollte er
höflich sein, denn sogar er sah, dass alles sauber war.
„Hast du ‚es‘ nun gelernt?“, fragte er. Und ich antwortete: „Ja, habe ich.“
Thomas ging zufrieden aus dem Haus. Und ich, die ich an
diesem Abend alleine war, war froh darüber, dass es keinen Cognac im Haus gab.
Mein Mann war ein nervlich für ein Familienleben nicht mehr annehmbarer
Ehepartner ohne jegliche Problemeinsicht gewesen. Ich vermisste ihn nicht.
Gute Mütter haben klebrige Böden, dreckige Öfen und
glückliche Kinder. Zum Thema „Gefühle“ konnte ich nur sagen, dass es
unangebracht war,
darüber zu diskutieren,
wer mehr oder für wen welche hatte. Eine Tatsache war für mich auch, dass
Thomas für seine Kinder keinesfalls viele Gefühle hatte. Sonst hätte er
bemerkt, dass zum Beispiel das Wörtchen „Danke“ im Zusammenhang mit Kindern
nicht nur verbal ausgesprochen wird. Im Zusammensein mit Kindern kommt der Dank
auf andere Weise zum Vorschein. Besonders, wenn sie die Empfindung haben,
angenommen und gemocht zu werden. Da er aber weder dieses Gefühl noch andere
für seine Kinder aufbringen konnte und auch nie versucht hatte, es zu tun,
hätte er zwar mitreden, aber nicht mitfühlen können.
Ich hatte ihn geheiratet, weil ich ihn geliebt hatte. Aber
nie und nimmer, weil ich davon überzeugt war, dass ich richtig gehandelt hatte.
Ich war zu jung und unerfahren gewesen, um das beurteilen zu können. Ich lebte
kontinuierlich mit dem Gefühl, er verstehe mich nicht. Die Schuld für mein
Versagen ihm gegenüber hatte ich während meiner Ehe bei mir selbst gesucht. Das
hatte er mir mit seinem Verhalten eingebläut. Ein einfacher Weg für ihn, auf
Kosten des geringen Selbstbewusstseins seiner Frau zu leben.
Den größten Teil der Erziehungsarbeit hatte er von Anfang
an mir überlassen. Natürlich musste er arbeiten und Geld verdienen. Aber er
musste nicht jedes Wochenende arbeiten. Auch musste er nicht beinahe jeden
Abend bis um zweiundzwanzig Uhr in der Wirtschaft sitzen oder sich als
Feldwebel präsentieren. Er hätte mehr daraus machen können. Seine Familie
interessierte ihn nur am Rande.
Im Übrigen konnten Thomas und ich während unserer Ehe auch
nicht wirklich miteinander reden. Ich gab nach oder schwieg. Offenbar war das
mein Fehler gewesen. Doch es hätte an seiner Verhaltensweise nichts geändert.
Das Zusammensein mit seinen Freunden oder Kollegen war ihm immer wichtiger
gewesen als seine Familie.
In die Gruppe der EA ging ich nun nicht mehr. Ich war
dankbar dafür, die EA hatte mir weitergeholfen. Aber es war nicht zu verantworten,
dass ich die Kinder so oft alleine ließ, zumal ich auch weiterhin einmal in der
Woche in die Gesprächsgruppe der Diakonie ging und ab und zu abends mit meier Freundin Heidi
unterwegs war.
Wenn wir zusammen gesehen wurden, hieß es: „Hier kommen
Pat und Patachon.“ Heidi war viel grösser als ich, und hatte ein einen Leibesumfang, der einer Tonne ähnelte. Wenn ich Sorgen hatte, ging ich zu Heidi. Heidis
Bedrängnisse bestanden hauptsächlich aus Geldsorgen. Denn sie bekam Sozialhilfe
und konnte sich und ihre Kinder mit ihrer kleinen Nebentätigkeit, dem Nähen für
andere, nicht wirklich über Wasser halten.
Einige Zeit später entdeckte ich mit Heidi zusammen den
Verband alleinerziehender Mütter und Väter. Auch die Mitglieder dieses
Verbandes trafen sich einmal im Monat abends in der Diakonie. Es gab auch
Treffen, bei denen man seine Kinder mitbringen konnte. Eine wöchentlich
stattfindende Gesprächsgruppe, in der es um die aktuelle Lebenssituation, durch
Trennung und Scheidung verursachte Schwierigkeiten und den damit
zusammenhängenden Fragen ging. Man redete über Sorgerecht, Umgang, Wiedereinstieg ins Berufsleben,
Existenzsicherung, Erziehung, Konfliktbearbeitung, Entwicklung neuer
Lösungsstrategien und so weiter.
Die Gruppe wurde von einer Fachkraft geleitet. Das Ziel
war die eigene Stabilisierung der Mütter und die Entwicklung neuer
Perspektiven. Väter gab es keine in dieser Gruppe, obwohl sie auch willkommen
gewesen wären.
Den Eltern obliegt die Verantwortung zur Erziehung der
Kinder; sie ist gleichermaßen eine gesellschaftlich notwendige Leistung. In der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung
werden Eltern von Staat und Gesellschaft unterschiedlich und nicht hinreichend
gefördert und unterstützt. Dies führt zu einem Ungleichgewicht zu Lasten von
Familien. Diese generelle Benachteiligung konkretisiert sich besonders deutlich
in der Lebenslage von Einelternfamilien. Sie ist auch Ausdruck und Folge der
Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft.
Die Kinder wurden während der Gesprächsgruppe in einem
Spielzimmer von Kinderbetreuerinnen versorgt. Einige der Frauen erzählten, sie
hätten nun einen neuen Partner, der bei ihnen wohnte oder regelmäßig zu Besuch
kam. Sie erzählten auch von den Schwierigkeiten, die sie damit hatten, ihren
Kindern den neuen Papa näherzubringen.
Für mich klangen die Schilderungen dieser Bemühungen sehr
anstrengend und aufreibend. Nein, ich wollte im Moment keinen anderen Mann
kennenlernen. Heidi dagegen lernte immer wieder einen anderen Mann kennen. Aber
keine Beziehung, die sie anfing, war von Dauer. Heidi machte den Führerschein,
für ein Auto war kein Geld da, aber irgendeinen Geldgeber würde sie schon
finden. Es sei zu anstrengend, immer zu Fuß zum Einkaufen zu gehen. Sie wohnte
ein paar hundert Meter vom nächsten Laden entfernt. Die Einkaufstaschen seien
zu schwer,
klagte sie.Wenn ich zum Einkaufen ging, zog ich über eine
Strecke von drei Kilometern den Einkaufswagen hinter mir her, ging in den
Supermarkt,
danach zum Arbeiten und anschließend wieder nach Hause. Eines Tages traf ich
ihn im Supermarkt an der Wurst- und Fleischtheke, diesen Mann, mit dem ich
während meiner Ehe eine kleine Affäre gehabt hatte. Zwischen uns türmten sich Berge von
Weißwürsten, Koteletts und kaltem Braten. Seine kleinen Äugelein sahen mich scheu an. Sein
zerzauster Schnurrbart ließ ihn wie ein Walross aussehen. Er ist fett geworden,
dachte ich, seine Figur hat sich den Gegebenheiten angepasst.„Hast du Geschnetzeltes da?“„Vom Schwein oder vom Rind?“„Vom Schwein, fünfhundert Gramm bitte“, sagte ich und
unterdrückte einen Lach Reiz. Er nickte stumm und wog das Fleisch ab.Er war nun verheiratet, das sah ich an
dem Ring, den er am Finger trug. Und irgendwann, vor vielen Jahren war er
schlank. Was hat mir an diesem Mann
gefallen? Fischstäbchen und Pommes muss ich noch kaufen. Und den Köder für die
Silberfischchen darf ich nicht vergessen. Warum nur habe ich mit diesem
Walross…Ja, ich war eben allein. Meinem Mann waren andere Dinge wichtiger als
ich. Batterien fürs Radio brauche ich noch. Aber warum ausgerechnet der?„Darf es ein bisschen mehr sein?“, fragte
er.„Nein, danke, es reicht“, antwortete ich. Und Herr Walross nahm mit höflich verzerrtem Gesicht die
Fleischstücke zurück. Ich möchte wissen, warum er mir nicht in die Augen sehen
kann. Mit dir flirte ich nicht, keine Angst. Das ist lange vorbei. Oder denkst
du etwa, du hast mich in Schande zurückgelassen? Ich kann schweigen wie ein
Grab, wenn es denn sein muss. Und es musste sein. Wer gibt schon gerne zu, dass
er mit einem Walross zusammen war. „Ich brauche noch zwei Scheiben Leber.“„Ist das dann alles?“„Ja, das ist alles“, bestätigte ich. Herr Walross beobachtete, wie ich das Fleisch in den
Einkaufswagen legte. Dann bedient er den nächsten Kunden. Und ich machte mich
auf die Suche nach dem Köder für die Silberfischchen. Schuhcreme musste ich
auch noch besorgen. Als ich nach Hause ging, dachte ich seit längerer Zeit
wieder einmal darüber nach, wie es wäre, wieder einen Mann an meiner Seite zu
haben. Es wollte mir nicht gelingen. Einem Mann, der zu mir passte, war ich
bisher weder begegnet, noch hatte ich einen gesucht. Es hatte auch seine Vorteile, ohne Partner zu leben.
Keiner war da, der mir Vorschriften machte. Keiner war da, auf den ich abends
warten musste, dessen Kleider ich waschen, dessen Essen ich zubereiten und mit
dem ich über die Erziehung der Kinder diskutieren sollte. Und die Kinder waren
bei Gott nicht so anspruchsvoll wie ein Mann es gewesen wäre. Sie begnügten
sich fast immer mit dem, was ihnen geboten wurde. Mein Sohn war nur in den Goldfischteich
des Vermieters gefallen. Drei der Fische hatten den Anschlag nicht überlebt. Ich hatte sie
entsorgt, bevor der Vermieter kam. Die Treppen waren geputzt. Es wurden keine
Spuren hinterlassen.Meine Tochter kam pünktlich nach Hause. Das erste Treffen
mit ihrem zweiten Freund war nicht gut gelaufen. Sie wollte sich nicht dazu
äußern. Natürlich war ich dankbar für die Unterstützung, die ich
von meiner Mutter, manchmal auch von meinen Schwiegereltern und von der
Diakonie bekam. Damit konnte ich den Kindern einige Sonderwünsche erfüllen. Das
Geld, das mir die Leiterin der Diakonie gab, zahlte ich immer zurück. Der
Vorteil war: Ich konnte mir damit Zeit lassen. Auf diese Art konnte ich manche
Lücke ausfüllen, die entstand, wenn Thomas das Unterhaltsgeld für die Kinder
nicht pünktlich überwies oder ich warten musste, bis er es selbst
vorbeibrachte. Einige Frauen aus der Alleinerziehenden-Gruppe taten sich
zusammen und veröffentlichten ein Buch mit Gutenachtgeschichten für Kinder.
Fiel ihnen nichts anderes ein? Schön für die Kinder, aber löste das
irgendwelche Probleme? Es war ein weiteres Beispiel dafür, dass Frauen
zurückstecken. Keine der Frauen hatte Literatur studiert oder selbst ein Buch
geschrieben, wurde angegeben. Musste nicht sein, heutzutage gewiss nicht mehr,
bei der Menge der Selfpuplisher, die es gibt. Aber auch damals war es möglich.
Das gäbe ihnen einen Lichtblick, sagten sie, das Veröffentlichten ihres ersten
gemeinsamen Buches. Sie sagten: Irgendwas passiert immer, egal wo du bist und
wie aussichtsvoll oder los die Situation erscheint. Wir für unseren Teil sind
voller Motivation in das neue Jahr gestartet, mit Gutenachtgeschichten für
Kinder. Der Vermieter beklagte sich immer wieder über meine Kinder, aber seine
Frau hielt zu mir. Schließlich bekamen sie die Miete pünktlich und das war
ihrer Ansicht nach ein Zeichen dafür, dass diese Frau, die es nicht leicht
hatte, ehrlich und korrekt war. Warum ich allerdings seit Neuestem ab und zu
das griechische Ehepaar besuchte, das in der Wohnung über mir wohnte, hätte sie
interessiert. Sie konnte nicht wissen, dass diese Griechin nachts um
vier Uhr anfing Klavier zu spielen. Das Klavier stand in ihrem Wohnzimmer.
Dieses befand sich direkt über meinem Schlafzimmer. Ich wollte dem ein Ende
bereiten, schließlich musste ich morgens aufstehen. Es endete damit, dass die Frau wegen Demenz ins Altenheim
kam, wo sie verstarb, und der alte Mann versuchte, mit mir anzubändeln. Ich war
froh, als er mir mitteilte, er gehe zurück nach Griechenland. Ich wollte ihn
auch nicht begleiten und die Kinder beim Vater lassen, als er mir das
vorschlug. Ja, es gab und gibt merkwürdige Menschen. Und ein Buch mit
Gutenachtgeschichten für Kinder bringt eine Alleinerziehende nicht wirklich
weiter.
Lesung in der Wortwerke Buchhandlung in Raststatt
Rainer Seemann: Bücher, die mehr Beachtung verdienen
Lesung in der Wortwerke Buchhandlung in Raststatt
Rainer Seemann: Bücher, die mehr Beachtung verdienen
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