Montag, 30. Oktober 2017

Der Taugenichts

Biografien im Kiel und Feder Verlag

Ich war noch niemals in New York. meine gesamte Biografie





                                      









                                                 



Leseprobe:


Von meinem Vater fehlte jede Spur. Auch die Polizei wusste nicht, wo er abgeblieben war. An einem kalten, windigen Februarwochenende holte Mutter mich bei Frau Seitz ab und ging mit mir nach Hause. Wie jeden Tag brachte sie meinen Bruder ins Bett. Ich war erkältet, die Schlafzimmer waren nicht beheizbar. Sie wollte kein Risiko eingehen und schob den Stubenwagen, in dem ich lag, ins Wohnzimmer. Dann legte sie sich aufs Sofa.

Mitten in der Nacht wachte sie auf. Da waren Geräusche, leise Schritte. Jemand schlich ums Haus. War das ihr Vater? Aber das war nicht möglich. Um diese Zeit befand er sich am Rande der Stadt, dort wo die großen Fabriken lagen. Ihr Herz klopfte wie ein Hammer gegen ihre Brust. Plötzlich klirrte es irgendwo. Glas zersplitterte. Eine Fensterscheibe war zerstört worden. Sie rannte ins Schlafzimmer, trat in Scherben und sah den Taugenichts auf dem Gehsteig. Er war betrunken. Die Splitter, die noch im Fensterrahmen steckten, blinkten im Mondlicht. Mein Bruder, aus dem Schlaf aufgeschreckt, klammerte sich an ihr fest und begann zu weinen. „Wenn du nicht sofort verschwindest, hole ich meinen Vater“, sagte Mutter drohend. Doch der Taugenichts wusste Bescheid. „Der ist ja beim Arbeiten. Und ich muss bei meiner eigenen Frau einbrechen, schon praktisch, dass du im Parterre wohnst“, lallte er. „Du kommst mir nicht ins Haus“, sagte Mutter, obwohl sie vor Angst zitterte. Der Taugenichts war voll betrunken und gewaltbereit, aber sie hoffte, er war nicht mehr reaktionsfähig. Rasch schloss sie die Fensterläden und sinnloserweise auch das kaputte Fenster. Dann trug sie meinen Bruder nach oben ins Schlafzimmer. Sie erklärte ihm, sie hätte das Fenster geschlossen und dabei wäre die Scheibe zerbrochen. Bald war er wieder eingeschlafen.

Als sie nach unten kam, scharrte etwas an der Hauswand. Dann flogen Steine gegen eines der Wohnzimmerfenster. Es war das Fenster, das an einem dunklen Seitenweg lag. Hier konnte keiner ihrer Nachbarn sie hören und bewohnte Gebäude waren nicht in der Nähe. Dort stand nun schwankend ihr betrunkener Peiniger mit einem faustgroßen Stein in der Hand. Mutter fragte sich, warum sie nicht alle Fensterläden geschlossen hatte, aber dazu hatte die Zeit gefehlt. Einen Spaltbreit öffnete sie das Fenster, flehte ihren Mann an, sie in Ruhe zu lassen. Die Kleine sei erkältet, er möge doch gehen. „Ich werde diese Scheibe auch einschlagen, wenn du mich nicht hineinlässt“, drohte er. Vielleicht kann ich mit ihm reden, schoss es ihr durch den Kopf. Bei dieser Eiseskälte konnte sie keine eingeschlagene Fensterscheibe im einzigen beheizbaren Zimmer riskieren. Sollte sie in die Küche ausweichen? Dort gab es einen Gasbackofen. Die Küche lag auf derselben Ebene wie das Wohnzimmer. Ein Fenster einzuschlagen, ohne dass jemand etwas hörte, wäre dort auch möglich gewesen. Mutter saß in der Falle. Sie musste die Haustür öffnen.  

 

Pressenet.Buchtipp/Leseprobe-Taugenichts. 

 

Bei Osiander: Der Taugenichts  



 




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