Auszug aus meiner Biografie: Die Pupertät.



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Zwei zwischen Minirock und Kochtopf

Immer wieder war mir gesagt worden, ich sei ein braves Mädchen. In der Pubertät beschloss ich, das zu ändern, das Leben zu genießen.  Meine Mutter sagte: „Du gehst los wie eine Rakete.“ Sie riet mir, nach der Volksschule in die Haushaltungsschule zu gehen, damit ich für ein Jahr untergebracht war und danach mit einer Ausbildung beginnen konnte.
„Ihr seid die Nägel zu meinem Sarg“, kreischte die alte Lehrerin mit verzerrtem Gesicht. Ihre eisenfarbenen Augen waren weit aufgerissen, und ihr Mund erinnerte mich und meine Freundin Gabi an ein Bild vom Eingang der Hölle, das wir vor einiger Zeit in einer Bibel gesehen hatten. An jener Stelle loderte das ewige Fegefeuer, in das alle Sünder irgendwann kommen würden.
 Im Klassenzimmer war es danach sehr ruhig. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, während die Mitschülerinnen Gabi und mich spöttisch belächelten. Die gemeinsame Abneigung gegen die Schulleiterin, die Unterricht im Nähen gab, verband uns. Denn diese alte Schachtel hielt mich und Gabi für gleichwertig dumm. Wenn andere Schülerinnen in einer Stunde eine perfekte Küchenschürze nähten, waren nur wir beide nicht mit dem Zuschnitt fertig. Die Lehrerinnen dieser Schule betrachteten ihre Zöglinge mit einem milden und einem wachsamen Auge. Ihr Ziel war es, den jungen Mädchen auf den „rechten Weg“ zu helfen. Doch was die Lehrerinnen unter dem „rechten Weg“ verstanden, begriffen auch die Schülerinnen, die in einer Stunde eine Schürze nähen konnten, nicht.
Gabi war dick, und ich war eine kleine dürre Bohnenstange. Wo die eine zu viel hatte, fehlte es der anderen an Rundungen. Trotzdem, etwas gefiel mir an meiner Mitschülerin. Ihr flaches rotes Hütchen,  scheinbar festgeklebt ihren blonden kurzen Haaren saß, war es nicht. Ich fand es scheußlich. Die grünen Augen waren es auch nicht. Ich hatte braune Augen. Grüne Augen haben nur wenige Menschen und Katzen, das wusste ich. Gabi trug lange karierte Röcke und weiße Blusen mit gestärkten Rüschen am Hals. Ich verglich die Vorstellung, jemals selbst so ausstaffiert zu sein, mit einem Albtraum. Meine Freundin trat auch nicht so selbstsicher auf wie die anderen Mädchen hier in der Haushaltungsschule, die alles, was ihnen beigebracht wurde, sofort zu verstehen schienen.
Die Lehrerin, die Unterricht im Nähen gab, war von Fräulein Spitzmaus, einer anderen Lehrerin, abgelöst worden. Gabi und ich hatten ihr diesen Namen gegeben, denn sie hatte eine spitze lange Nase, die sie gerne in die Angelegenheiten der Schülerinnen steckte.
„Heute lernen wir, wie man einen Säugling wickelt, kommt bitte alle nach vorn“, sagte sie. Die Mädchen drängelten sich kichernd ums Pult.
„Die Renate ist schwanger“, flüsterte mir Gabi zu. Sie rückte ihr rotes Hütchen zurecht und hielt sich die Hand vor den Mund, um einen aufsteigenden Lach Reiz zu unterdrücken. „Und nun wollen sie uns beibringen, wie man aus einem Säugling und einer Stoffwindel ein handliches Paket schnürt“, flüsterte ich. Aufklärung war weder im Lehrplan der Schule noch bei den Eltern vorgesehen. Deshalb machte Fräulein Spitzmaus den meist vergeblichen Versuch, den Mädchen Tugend und Sittsamkeit beizubringen. Wir kicherten die ganze Stunde über, was zur Folge hatte, dass wir immer noch nicht wussten, wie man einen Säugling wickelt.
Gabi und ich hatten immer etwas zu lachen. Aber wir fanden auch schnell einen Anlass zum Weinen. „Das ist nun mal so in der Pubertät“, hatte Mutter gesagt. Die meisten Mädchen waren in die Schule gekommen, um das Nähen und die perfekte Haushaltsführung zu erlernen. Dass sie nach der Schule zuerst in die Fabrik gehen oder als Verkäuferin arbeiten würden, bis sie den richtigen Mann gefunden hatten, war alltäglich. Es gab außerdem Mädchen, die in einem Büro arbeiten wollten. Dafür war Gabi nicht geschaffen. Das Rechtschreiben war ihre Schwäche. Ich half ihr dabei, so gut ich konnte. Meine Freundin war nicht fähig, sich über längere Zeit zu merken, wie man das eine oder andere Wort schrieb. Was sie gestern falsch geschrieben hatte, war am nächsten Tag wieder mangelhaft. Gabi half mir beim Nähen. Im Laufe der Zeit entwickelte sie dabei mehr Geschick als ich. In den Kochunterricht gingen wir beide gerne. Zu allem Unglück mussten wir nach dem Kochen die Küche putzen. Gabi war tapsig und bewegte sich bisweilen langsam. Den Höhepunkt erreichte sie, als sie über einen prall mit Wasser gefüllten Eimer stolperte und zu Boden ging, ohne einen Tropfen Wasser zu verschütten. Auch das gefiel mir an meiner Freundin. Man konnte mit ihr Lachen, bis man Bauchschmerzen bekam.

Während Gabi und ich kochten, Fenster putzten, Handtücher zusammenlegten und uns im Unterricht mit der Nähmaschine abquälten, wurde Haschisch durch die Flowerpower-Bewegung zum Inbegriff einer unabhängigen Lebensweise. Diese war nur mit Frieden, freier Liebe und Blumen erreichbar, so wurde gesagt.
Und die Musik, die aus Amerika kam, ging nicht nur in die Beine, sie war faszinierend, sie gab den jungen Menschen ein außergewöhnliches Lebensgefühl. Die Beatles und andere Bands veränderten mit ihren Songs die biedere deutsche Musikszene.
Indessen sahen viele ältere Menschen diese Musik als jugendgefährdend an. Die Jungs mit den langen Haaren waren in ihren Augen entweder Hippies oder Gammler. Auf jeden Fall aber schamlos und sittenwidrig. Das Musical Hair wurde bekannt wurde bekannt, es prangerte den Vietnamkrieg an. Die langen Haare der „Gammler“ drückten den Protest gegen diesen Krieg aus, aber viele der Erwachsenen verstanden das nicht oder wollten es nicht verstehen.
Auf Umwegen wurde auch bekannt, dass es „die Pille“ gab. Gabi und ich waren nicht angemessen aufgeklärt. Wir wussten im Grunde nur ungefähr, wie man einen Säugling wickelt. Aber dass die Pille eine Schwangerschaft verhinderte, begriffen wir sofort.
Das Schuljahr neigte sich seinem Ende zu, und die Abschlussprüfungen standen an. Die Lehrerinnen bereiteten sich darauf vor, ihre Zöglinge in die Realität des Lebens zu entlassen und anschließend anderen Mädchen auf den „rechten Weg“ zu verhelfen, wie sie sagten. Was die Lehrerinnen allerdings unter einem „ rechten Weg“ verstanden, begriffen Gabi und ich nicht.
Ich bestand die Prüfung, ich schmuggelte mich durch. Gabi bestand sie nicht. Das Resultat war eine unglückliche Freundin, die Angst vor ihren Eltern hatte.






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