Sonntag, 27. Januar 2019

Die Gedanken sind frei eine meiner Kurzgeschichten bei e- Storys

Die Gedanken sind frei bei e-storys







                                               Die Geschichte wurde in diesem Buch veröffentlicht:





Heidrun Böhm

Die Gedanken sind frei

Als dein Brief ankam, saß ich im Garten. Ein Hauch von Frühling lag in der Luft. Der Himmel war samt blau, Krokusse und Schneeglöckchen blühten. Mein Sohn hatte mir den Brief zusammen mit einem Zweig Palmkätzchen auf den Tisch gelegt. Ich erinnerte mich daran, dass der Frühling die Jahreszeit war, in der wir als junge Frauen zusammen unsere schönsten Erlebnisse hatten. Wir kannten uns schon seit unserer Jugend.
Dann fiel mir ein, dass du früher nie einen Brief geschrieben hattest. Wir hatten nur miteinander telefoniert, seit damals das Unglück geschehen war. Und ich hatte dich seit der Beerdigung deines Mannes nicht wieder gesehen. Ich war neugierig auf deine Zeilen, machte mir eine Tasse Kaffee und öffnete den Brief. Ein heftiger Windstoß, der unerwartet kam, riss in mir fast aus den Händen. Vielleicht hätte ich das als Zeichen werten sollen, hätte den Brief  wegwerfen sollen. Ein dicht beschriebenes Blatt, das mit rosa Rosen verziert war, fiel mir entgegen. Auch dein Schriftbild war anders geworden. Früher hieltest du nichts von Schnörkeln und Verzierungen. Deine nüchterne Art, das Leben zu betrachten hatte mir gefallen.
„Meine liebe Freundin“, hattest du als Anrede geschrieben. Das klang unpersönlich, entsprach ebenfalls nicht dem Stil, den ich von dir kannte.  „Ich habe dir eine sehr erfreuliche Mitteilung zu machen, ich werde wieder heiraten. Du bist herzlich dazu eingeladen. Die Hochzeit ist am 23 Mai um 11 Uhr auf dem Standesamt in meiner Heimatstadt. Hoffe sehr, du wirst kommen.“
Natürlich gönnte ich es dir, du warst eine Frau, die einen Mann gerne umsorgte, und darin Erfüllung fand. Nach dem Tod deines Mannes allerdings, schien diese Eigenschaft für einige Zeit völlig verschwunden zu sein. Vermutlich war es der Schock über seinen plötzlichen Tod gewesen. Nun hattest du dich wieder auf deine früheren Werte besonnen. Ich las weiter: „Ein Geständnis muss ich dir aber in diesem Zusammenhang noch machen: Ich werde Holger heiraten.“
Meine Hand begann zu zittern. Der Kaffee schwappte über und hinterließ einen hässlichen braunen Fleck auf den Worten: „Meine liebe Freundin.“ Du wolltest Holger heiraten, den Schwerenöter, den zerknitterten Playboy, den Mann, der keiner Frau treu sein konnte! Warst du von Sinnen? Du hattest doch die Wechseljahre hinter dir. Waren wir beide nicht reife Frauen, die auf einen gewissen Erfahrungsschatz im Umgang mit Männern zurückgreifen konnten? Warum hattest du, die nüchterne Frau, dich in meinen früheren Mann verliebt? Wie hatte er dich dazu gebracht, ihn zu heiraten? Nein, zu dieser Hochzeit würde ich nicht erscheinen. Warum sollte ich mir das antun?
Ein kleiner Vogel setzte sich neben meinen Stuhl ins Gras. Er zwitscherte und schlug mit den Flügeln. Mein Sohn kam in den Garten. Auf seinem Gesicht war das erstarrte Lächeln, das da immer war. Auch das Sprechen beherrschte er nur unvollkommen. Mein Sohn war seit seiner Geburt geistig behindert. Er beugte sich über mich, und legte mir noch einen Palmkätzchen Zweig auf den Tisch. Dabei gluckste er leise. Es war seine Art, mir eine zu Freude machen. Zärtlich strich ich ihm über die Wange und dankte ihm für das Palmkätzchen. „Geh noch ein bisschen fernsehen, Mama muss nachdenken“, sagte ich  zu ihm. Wieder gluckste er und ging zurück ins Wohnzimmer. Er war leicht zufrieden zu stellen. Aber er würde nie ohne Hilfe leben können. Er würde für immer bei mir bleiben müssen. Bei mir, der Frau, die wegen ihres Sohnes nie mehr eine Beziehung eingehen konnte.
Hatte ich dir nicht geholfen, so gut ich konnte, nachdem du deinen Mann aus Versehen erschossen hattest? Die Kugel hatte sich aus der Pistole gelöst, „einfach so“, hast du mir damals erklärt. Ein unglücklicher Zufall. Das Schicksal wollte es. Gott wollte es, oder wer auch immer. Manfred war auf jeden Fall tot, er hatte eine Kugel im Kopf, als ich ihn zum Letzten Mal sah. Du warst mitten im Zimmer, hieltest die Pistole in der zitternden Hand und starrtest auf seine Leiche. Wenn ich nicht zufällig ins Zimmer gekommen wäre, hätte es niemand sofort bemerkt. Denn die Pistole hatte einen Schalldämpfer auf dem Lauf.
Als der Verdacht sich erhärtete, dass du Manfred erschossen hattest, war ich auf deiner Seite, habe dich getröstet, über viele Stunden mit dir telefoniert und dir Mut zugesprochen. Zuletzt konnte man dir nichts beweisen.
Warum wolltest du mich einladen? Genügte es nicht, dass du mich über die Heirat informiertest?  Wolltest du mich lächerlich machen? Was dachtest du dir dabei?
Deine Ehe mit Manfred war nicht besonders gut gewesen, ständig hattet ihr euch gestritten. Und nun wolltest du auch den Vater meines Kindes ins Unglück stürzen!
Sicher hattest du deine Gründe. Schließlich hatte Holger finanziell einiges zu bieten. Manfred hatte dir nicht viel an Vermögen hinterlassen.
Ich wusste, dass du eine Schlampe bist. Du warst nur auf das Geld aus. In armen Verhältnissen geboren, aber eine schöne Fratze und einen gut geformten Körper. Das war doch alles, was die Männer interessierte...die Äußerlichkeiten. Holger aber war ein Schwerenöter, schon immer gewesen. Lange würde er es auch bei dir nicht aushalten, und dann könnte ich ihm sagen, dass seine Frau ihren ersten Mann getötet hat. Einfach so. Vielleicht würde Holger dann zu mir zurückkehren. Dann würde er mir auch glauben, dass unser Sohn nicht von Manfred war. Diese eine Nacht die ich mit Manfred verbracht habe, war doch nicht wichtig.
Der Brief flatterte im Wind, ich musste ihn festhalten. Graue Regenwolken bildeten sich am Himmel. Langsam klatschten dicke Tropfen auf den Tisch. Der schöne Frühlingstag war zu Ende. Ich musste mich entscheiden.
Die Pistole lag schon seit vielen Jahren in der Kommode im Keller. Ich musste nachsehen, ob sie noch in Ordnung war. Aber das war kein Problem für mich. Ich konnte mit Waffen umgehen und hatte mir die Pistole selbst besorgt, gleich nach der Geburt meines Sohnes.
Langsam ging ich mit dem Brief zurück ins Wohnzimmer. Mein Sohn saß im Sessel und glotzte blöde in den Fernseher. Er konnte nicht anders.Ich ging zu meinem Schreibtisch und holte das blütenweiße Briefpapier mit den blauen Vögelchen am Rand, das ich nur für besondere Anlässe benutzte.
 
Dann setzte ich mich an den Tisch und begann zu schreiben: Vielen Dank für deine Zeilen. 
Natürlich komme ich zu deiner Hochzeit. Ich kann es gar nicht erwarten!


Man darf sogar auf Instagram nichts posten, wo bleibt die Gleichberechtigung?  

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